Erste Hilfe für Scanner – oder wie Menschen mit vielen Interessen glücklich werden

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Erste Hilfe für Scanner – oder wie Menschen mit vielen Interessen glücklich werden

Ja, ich bin ein bekennender Scanner und ja, ich mag diese Bezeichnung gar nicht, „Vielbegabte“ hört sich besser an, finde ich. „Multipotential“ noch besser. Eine traditionelle Bezeichnungen ist der „Polymath“, das waren umfassend begabte Wissenschaftler und Künstler, die ihr Potenzial zu voller Blüte gebracht haben – so vielfältig es auch war. Das wär’s doch, oder?

Sind Sie auch schon seit Jahren auf der Suche nach Ihrer einzigen und ewigen Leidenschaft und scheitern Sie immer wieder grandios an dieser Aufgabe? Denn genau in dem Augenblick, in dem Sie denken, Sie hätten sie endlich gefunden, kommt bereits die nächste in den Blick? Und wenn Sie sich auf eine Sache festlegen sollen, fühlt sich das so schmerzhaft an, als müssten Sie sich ein paar Gliedmaßen abschneiden? Dennoch denken Sie, Sie sollten das dringend tun, damit Ihr Leben endlich eine Richtung bekommt? Damit Sie zur Ruhe kommen und möglicherweise zu guter Letzt darauf Ihr Business aufbauen können?

Tja, möglicherweise gibt es Abhilfe. Vermutlich sind Sie eben eine besondere Art von Mensch, der sehr leidenschaftlich ist, für den es aber die eine Leidenschaft einfach nicht gibt, sondern möglicherweise eine Serie von Leidenschaften oder mehrere Leidenschaften in wechselnder Gewichtung gleichzeitig.

Sind Sie überhaupt ein Scanner-Typ?

Aber langsam. Überprüfen Sie sich doch erst einmal mit dem kurzen Selbst-Check. Wenn Sie die meisten der folgenden Fragen mit einem klaren „Ja“ beantworten können, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein Scanner-Typ sind:

  1. Ich kann sehr vieles, vom Baumhaus-Bauen bis zum Bücherschreiben, vom Hunde-Besänftigen bis zum mehrstöckige Hochzeitstorten-Backen. (Bitte eigene Beispiele einsetzen)
  2. Ich interessiere mich für unglaublich Vieles gleichzeitig, das von außen betrachtet erst einmal wenig miteinander zu tun hat.
  3. Ich bin ein Lernjunkie, immer auf der Suche nach dem neuesten Tipp, Rezepten, Tools oder Methoden oder auch der neuesten Theorie.
  4. Ich bin eine Selfmadefrau oder ein Selfmademann. Vieles bringe ich mir selbst bei, und das bis zu einem außergewöhnlichen hohen Niveau (falls mich nicht vorher die Lust verlässt – aber ich könnte, wenn ich wollte…)
  5. Es wird mir langweilig, wenn ich nicht verschiedene Projekte oder „Baustellen“ gleichzeitig am Laufen habe.
  6. Manchmal bin ich auch gestresst, weil mich mein eigener Aktionismus überfordert und bisweilen geht dann gar nichts mehr vorwärts.
  7. Wenn ich irgendwo nicht weiter komme, setze ich doch gleich ein neues Projekt an den Start, da habe ich wieder schnelle und tolle Erfolge.
  8. Mein Selbst- und Zeitmanagement ist deutlich chaotischer als bei anderen, aber ich will eben so vieles gleichzeitig, dass mein Leben oft recht unübersichtlich und komplex wird.
  9. Andere belächeln mich manchmal wegen meiner vielen Ideen und sagen, ich soll langsam machen. Was mich wiederum wahnsinnig macht, weil ich mich in meiner Vielseitigkeit ausleben will und muss!
  10. Nach außen hin (z.B. im Hinblick auf meine Position, meinen Status, mein Einkommen) bin ich lange nicht so erfolgreich, wie ich es m.E. verdient hätte. Mein Arbeitsinput steht oft in keinem Verhältnis zu meinem beruflichen Erfolg.
  11. Ich habe viel Energie. Oft gelingt es mir auch, andere zu begeistern und mitzuziehen.
  12. Ich brauche absolut meinen Freiraum. Einschränkungen, was Tradition, Konventionen oder Regeln angeht, kann ich gar nicht leiden, weil ich sie wirklich nicht verstehe.

Sind Sie tatsächlich ein Scanner? Herzlichen Glückwunsch! Willkommen im Club. Scanner führen ein unglaubliches reichhaltiges Leben, manche schaffen es tatsächlich, mehrere Leben in eins zu packen… Scanner möchten das Leben in seiner Fülle ausschöpfen und auf ihre ureigene Art genießen. Soweit die guten Neuigkeiten.

Wann Scanner in Schwierigkeiten geraten

Natürlich gibt es auch eine Kehrseite. Viele Scanner sind unzufrieden, weil sie nirgendwo so richtig reinpassen. Sie gehören nicht in den Schachverein und geben da nur eine mehrwöchige Stippvisite. Sie haben vielleicht ein Buch geschrieben, das ist aber kein Bestseller geworden, noch eins im gleichen Genre zu schreiben, wäre langweilig, also ziehen sie weiter zum nächsten Genre oder sie lernen doch lieber noch Paragliding. Scanner bekommen von ihrem Umfeld zurückgespiegelt, dass irgendetwas mit ihnen nicht ganz in Ordnung ist – und das zermürbt auf die Dauer. Beispielsweise wenn man sich ständig rechtfertigen muss für die Anschaffungen, die das neueste Projekt schon wieder mit sich gebracht hat, und die nicht selten nach wenigen Einsätzen wieder im Keller landen. Scanner sollen sich mal entscheiden, endlich erwachsen werden, was „Richtiges“ machen oder auch nur etwas richtig machen.

Die Jobwahl gestaltet sich ebenfalls nicht so einfach, weil Scanner schnell von den klassischen Berufsbilder gelangweilt sind und dann oft sprunghafte Lebensläufe vorweisen. Oft ist es sinnvoll, sogenannte Schirmberufe wie Berater, Lehrer oder Lifestyle-Entrepreneur o.ä. zu wählen, um innerhalb des Jobs größtmögliche Gestaltungsfreiheit zu haben. Eine weitere Strategie ist, einen „zufriedenstellenden“ Job für das Grundeinkommen zu wählen und sich in der möglichst umfassenden Freizeit mit interessanten Dingen auszutoben.

Tatsächlich haben viele Scanner Schwierigkeiten, Dinge zu beenden und auch das Zeit- und Selbstmanagement ist oft recht chaotisch, weil sie vieles gleichzeitig und natürlich sofort möchten. Diese äußeren und inneren sagen wir mal ungereiften Scannereigenschaften machen unzufrieden. Manchmal sind Scanner deswegen nur frustriert, manchmal sind sie aber auch richtig gelähmt, weil sie gar nichts mehr auf die Reihe bekommen. Hier meine besten fünf Strategien, mit denen ich als Scanner-Persönlichkeit in den letzten Jahren sehr gut gefahren bin.

5 Strategien für Scanner

  1. Give me five
    Für mich macht es Sinn, maximal fünf Projekte gleichzeitig am Start zu haben. Ab und zu zähle ich meine aktiven Großprojekte durch (denen natürlich dann kleine Projekte zugeordnet sind). Reichen die Finger einer Hand nicht mehr, wird’s bei mir kritisch, dann werde ich „wuschig“ im Kopf, renne unkoordiniert zwischen den To-dos hin und her und es wird Zeit, eine „Baustelle“ vorübergehend stillzulegen, das ist schmerzhaft, aber überlebensnotwendig. Häufig macht es auch Sinn, einem Projekt den Vorrang zu geben und das so richtig voranzutreiben, während die anderen einfach mitfließen.
  2.  Denken ist gut, Schreiben ist besser
    Barbara Sher (s. u.) empfiehlt, ein großes Projektbuch anzulegen, in dem Sie mit Hingabe alle Ideen und laufenden Projekte visualisieren können. Das ist mir zu aufwändig. Aber ich dokumentiere (in recht chaotischer Form) meine Projektideen in unterschiedlich gestalteten Heften. So gehen meine Fragen, Notizen und der Stand gerade auf Eis gelegter Projekte nicht verloren, damit sie evtl. wieder reaktiviert werden können oder in einer neuen Lernspirale aufgegriffen werden können.
    So wertschätze ich meine Projekte, gerade auch dann, wenn sie nach äußeren Kriterien nicht (monetär) erfolgreich waren, oder wenn andere sagen würden, das ist noch nicht abgeschlossen. Sie selbst entscheiden, wann etwas „fertig“ ist und wann nicht. Barbara Sher beschreibt sehr schön, wie Scanner immer schon ihren Gewinn gehabt haben, wenn sie ein Projekt nicht weiterführen. Das sieht man nur oft nicht von außen.
  3. Ideen verschenken
    „Wer Angst hat, dass ihm Ideen geklaut werden, der hat nicht genug“, hieß einmal ein Zeit-Artikel. Und Ideenmangel ist ja schließlich kein Problem von Scannern, oder? Wir haben eher zu viele und das setzt uns unter Stress. Nebenbei – kennen Sie zum Beispiel jemanden, der endlich meine Idee der Klassik-Disco umsetzen möchte?
    Es gibt tatsächlich Menschen, die Geschäftsideen suchen. Schauen Sie hier zum Beispiel auf Gründerforen vorbei. Auch können Sie mit einer gemeinnützigen Idee, die beispielsweise Jugendgruppen umsetzen können, etwas Gutes tun, ohne sie selbst umsetzen zu müssen, zum Beispiel hier: 72-Stunden-Projekte
    Oder versuchen Sie Ihre Konsumgüter-Idee an Menschen weiterzugeben, die sie realisieren möchten: Hier können Sie eine Idee einreichen und sich an der Produktentwicklung beteiligen. Die weniger interessanten Dinge übernehmen andere und es fällt noch etwas beim Verkaufserlös für Sie ab http://manugoo.de – Ich hab’s noch nicht ausprobiert 😉
  4. Auszeiten zum „Aufräumen“ nehmen
    Ich merke immer sehr genau, wenn es zu viel wird, wann meine eigene Ideenvielfalt über mir zusammenschlägt. Dann werde ich unausstehlich und es wird Zeit für eine kleine Auszeit im Alltag. Ich habe dazu ein kleines Ritual für eine Auszeit (ca. 5–7 Std.) entwickelt und nenne es Dreamday.
    An diesem Tag laufe ich erst einmal mindestens zwei Stunden durch den Wald und versuche dabei an nichts zu denken, und wie es so schön heißt, ganz im Hier und Jetzt zu bleiben. Irgendwann ist der Kopf frei und es beginnt erneut zu sprudeln. Aber nicht so unstrukturiert wie vorher, sondern die Dinge finden sich, neue Antworten auf meine (noch zuhause formulierten) Fragestellungen tauchen wie auf dem Nichts auf. Danach muss ich mich nur noch eine Weile in ein Café setzen. Und bei einem Stück Sahnetorte schriftlich weiter sortieren und die neuen Strukturen aufschreiben. Ich bin dann wieder für zwei bis drei Monate geklärt. Erfahrungsgemäß lohnt sich diese Zeitinvestition immer. Ich weiß dann wieder, wo meine Prioritäten liegen und für was ich dringend Freiräume schaffen muss.
    Gerade Scanner-Typen sollten noch besser auf sich aufpassen als andere Menschen, damit die vielfältigen Möglichkeiten des modernen Lebens sie nicht überfordern und dazu führen, dass sie irgendwann gar nicht mehr ins Handeln kommen. Dabei kann eine bewusste Auszeit im Alltag sie unterstützen.
  5. Ergebnisse feiern
    Tja, und weil wir in den Augen unserer Mitbürger oft ein wenig schrullig sind oder wenig erfolgreich scheinen, ist es wichtig, mit Ergebnissen sichtbar zu werden. Erstens lernen Sie dann, dazu zu stehen, dass Sie sich für so etwas Ausgefallenes wie Teezeremonie-Schalen selbst herstellen oder Krötenarten dokumentieren interessieren. Zweitens leisten Sie einen Beitrag dafür, anderen bewusst zu machen, dass sie ganz schön eingeschränkt in ihrer Fernseh-Komfortzone leben. Drittens holen Sie sich die Anerkennung und Wertschätzung für Ihren Lebensstil ab. Verständnis ist oft zu viel verlangt, aber ein staunendes „Mensch, deswegen warst du also mal wieder abgetaucht“ oder „Das ist wirklich wunderschön geworden, das hast du ganz alleine gemacht?“, tun vielleicht auch schon ganz gut. Viertens merken Sie, dass diese Leistung eben nicht selbstverständlich war und erkennen Sie auch vor sich selbst an.

Eine Botschaft an alle Scanner da draußen

Genießen Sie es, dass Sie sind, wie Sie sind. Stürzen Sie sich Hals über Kopf und mit Leidenschaft in die Themen oder Projekte, die Sie anspringen. Geben Sie Ihr Bestes in jedem Projekt. Testen Sie hier Ihre Grenzen jedesmal ein wenig mehr aus, denn nur dann werden Sie mit sich zufrieden sein. Überlegen Sie sich dann einen würdevollen Abschluss für dieses Projekt – und ziehen Sie weiter.

Mehr Scannerressourcen

Der ultimative Buchtipp von der Mutter aller Scanner, Barbara Sher, die darin verschiedene Ausprägungen von Scannertypen beschreibt und für jeden Typus gleich passende Jobmöglichkeiten und Selbstmanagementtechniken mitliefert: Du musst Dich nicht entscheiden, wenn Du tausend Träume hast.

Sebastian Thalhammer stellt auf www.projektphoenix.com sein Konzept des Polypreneurs vor, der seine Scannertalente in seinem Lifestylebusinesskonzept vereint. Siehe auch den Blogartikel „Die vier-Stunden-Woche killt“.

Da ich selbst ein Scannertyp bin, biete ich auch Scanner-Coaching an, das auf Menschen mit diesem Persönlichkeitsprofil abgestimmt ist.

Beitragsbild: © www.pixabay.de

 

Martina Nohl